Wird die SBB den Journalismus retten? Nein, aber …

philipp meier
3 min readApr 21, 2017

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Schon mein Vater war ein News-Junkie. Ständig mussten wir leise sein, weil er am Zeitung lesen, Nachrichten hören oder Tagesschau sehen war. Mein Vater war also bereits vor 40 Jahren ständig auf Draht — lange vor dem Internet. Und so nun auch sein Sohn.

Es gab Zeiten, da musste ich jedes Wochenende alle drei grossen Sonntagszeitungen kaufen — lange vor dem Internet (gefühlt). Damals konnte ich nicht ahnen, dass mich meine Sucht nach News vom Landschaftsgärtner via Party-Organisator und Kunstkurator in «die Medien» führen würde.

Nach der Kuratierung von rebell.tv und der Mitarbeit beim Aufbau von watson.ch arbeite ich nun mitten im Change-Prozess von swissinfo.ch.

Was liegt also näher, als (als definitiv letzter und verspäteter offizieller Akt) als #SBBservicescout das Reisemagazin «via» etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Als Anlass dazu dienen mir dessen neuen Verteilboxen, deren Platzierung ein sehr starkes Statement sind:

Beim Beklagen der schwindenden Medienvielfalt im Umfeld der traditionellen Verlage geht oft vergessen, dass immer mehr institutionelle oder kommerzielle «Newsrooms» entstehen und teils sehr attraktiven, informativen und tief schürfenden Journalismus anbieten — zum Beispiel das WEF, die Geschichte der Gegenwart oder RedBull.

Was viele Journalistinnen und Journalisten an diesen neuen Playern in der Medienlandschaft massiv stört, ist bei genauerem Hinschauen für die User ein entscheidender Vorteil gegenüber dem «unabhängigen» Journalismus: Die Abhängigkeit ist offensichtlich und schafft dadurch grösstmögliche Transparenz.

Es liegt also auf der Hand, dass auch die SBB glaubwürdigen Journalismus anbieten könnte. Und die Platzierung der via-Magazin-Boxen zwischen die beiden Gratis-Zeitungen ist insofern ein sehr geschickter Zug, weil es wohl ein einfaches ist, diese mit gutem Journalismus zu übertrumpfen.

Durch die neuen Verteilboxen und meine Gedanken dazu, stiegen jedoch meine Erwartungen an das Magazin enorm. Und ich muss vorausschicken, dass ich als einer, der von Medien-Forschern als «Newsdeprivierter» bezeichnet wird, wohl nicht zur Zielgruppe des Magazins zähle.

Trotzdem erlaube ich mir ein Urteil, denn ich habe in meinem Leben genug lange nur Zeitungen und Magazine lesen können:

Die Gestaltung des Magazins kann leider bereits beim ersten flüchtigen Durchblättern nicht als ernstzunehmendes journalistisches Produkt eingeordnet werden. Es scheint irgendwo zwischen einem Prospekt und einem journalistischen Magazin stecken geblieben zu sein.

Dasselbe Problem haben übrigens auch das Migrosmagazin und die Coopzeitung.

Aber wieso kann ein solches firmeneigenes Magazin nicht so gedacht und umgesetzt werden, wie zum Beispiel eine Native Ad — ergo: als «Native Mag».

Sprich: Es wird als ernstzunehmendes journalistisches Magazin gestaltet und produziert, das jedoch einen einzelnen exklusiven «Werbe-Partner» hat.

Auf via bezogen bedeutet dies:

  • Die redaktionellen Inhalte einheitlich durchgestalten — aktuell hat fast jede Story ein eigenes Layout
  • Die Werbe-Beilagen nicht fix einbinden, sondern als lose Werbehefte oder Prospekte reinlegen — nimmt dem Magazin den billigen Touch
  • Grundsätzlich gestalterisch viel klarer zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt unterscheiden — das dient der Werbung, dem journalistischen Inhalt und der Glaubwürdigkeit der SBB ganz allgemein
  • Vom editorialen Konzept her stimmt vieles: Service-Beiträge, konstruktive Storys und ganz allgemein emotionsstarke Geschichten
  • Vielleicht könnte man sich auch an ernsthaftere oder kritischere Inhalte herantasten — auch das würde der Glaubwürdigkeit der SBB dienen

Alle diese Massnahmen würden das Heft wohl auch bei vielen neuen Leserinnen und Lesern attraktiver machen — unter anderem auch bei denen, die sich ansonsten bei den Gratiszeitungen bedienen. Wer nimmt nicht gerne ein schön gestaltetes Gratis-Magazin mit interessanten, motivierenden und kritischen Inhalten mit, das gleichzeitig auch viele Angebote und Ausflugtipps beinhaltet?

In der aktuellen Form wird die SBB mit dem Magazin via den Journalismus nicht retten. Aber das Potential ist vorhanden.

Und als Schlussbemerkung: Dieselbe Kritik gilt übrigens auch zum gesamten (im weitesten Sinne) journalistischen Auftritt der SBB. Auch online ist ein ziemlich durcheinander, wo welche Artikel, News, Blogbeiträge und das via zu finden sind.

ps: das magazin via wird nicht nur von der SBB rausgegeben, sondern auch vom verband öffentlicher verkehr

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philipp meier
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Written by philipp meier

teilzeit community developer @swissinfo.ch, teilzeit beratung, ehem. SM editor/curator @watson.ch, NachtStadtrat Zürich, ex-direktor cabaret voltaire

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