Was ist (‘abhängiger’) Journalismus?

philipp meier
6 min readNov 22, 2019

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Ein Panel am #JourTag19

Die Grundaussage dieses Beitrages vom Herbst 2019 — die Medienvielfalt nimmt zu und nicht ab — bleibt gleich. Dies bestätigen neuere Projekte, weswegen ich ihn im Herbst 2021 update.

Bald ist es Herbst 2022 und ich ergänze diesen Beitrag erneut (kann mir mal jemensch sagen, weshalb sich im Online-Journalismus nicht längst Beitrag-Formate entwickelt haben, die sich laufend aktualisieren lassen? Der Live-Ticker kommt da am nächsten ran)

Wegen dem Medienwandel gibt es (fast) keine Schriftsetzende mehr. Ereilt nun den Journalistenden dasselbe Schicksal? Es ist nicht vergleichbar, aber …

Auf dem Weg an den #JourTag19 machte ich folgenden Retweet:

Sind auch Wissenschaftlende Journalistende 🤔

Und davor diesen:

Sind Kommunizierende von Kantonsverwaltungen Journalistende 🤔

Was in der Branche gerne als PR verhöhnt wird, mausert sich längst zu einer wichtigen Säule der öffentlichen Meinungsbildung. Dabei wird — insbesondere für Nutzende — die Unterscheidung zwischen ‘unabhängigem’ und ‘abhängigem’ Journalismus immer weniger wichtig. Zentral ist der Mehrwert — für Meinungsbildung und demokratierelevante Debatten — und die Transparenz zu Kontext der Medienbeiträge und zum Businessmodell dahinter.

Ausschlag zum erneuten Update dieses Beitrages gab dieser Tweet zu Ankündigung einer neun App:

Ist auch eine Kirche eine Medienmarke 🤔

Das letzte Update zu diesem Beitrag machte ich wegen ElleXX, eine (nicht nur) diesbezüglich sehr spannende Medienplattform:

Ist auch ein Anlage-Beratungs-Startup eine Medienmarke 🤔

ElleXX sprengt auf vielen Ebenen, was auch noch Journalismus sein kann. Was andernorts als Native Ad oder sponsored Content bezeichnet wird, ist hier quasi ein eigenes Medienportal. Macht es den Journalismus, der hier geteilt wird, schlechter? Eben … 💁‍♀️

Des Weiteren: Bei ElleXX taucht vieles auf, das in Mediendiskursen häufig relativ hölzern ‘konstruktiver Journalismus’ genannt wird. Doch mehr dazu weiter unten … (wenns eilt: Habe einen fetten Zwischentitel gesetzt:)

Mit dem nächsten Beispiel begebe ich mich sehr arg aufs (dünne;) Glatteis. Aber umso passender ist es, um das Auflösen der Grenzen zwischen ‘unabhängigem’ und ‘abhängigem’ Journalismus aufzuzeigen:

Im Eigenbeschrieb ist ‘Megafon Reitschule Bern’ nicht die Pressestelle der Reitschule, sondern deren ‘unabhängige’ Zeitung, die versucht, den politischen Diskurs in Bern mit kritischer, unabhängiger und anwaltschaftlicher Berichterstattung mitzuprägen.

Es ist jedoch klar, dass, wenn Megafon in irgendeiner Form mit der Reitschule verbandelt ist, im weitesten Sinne auch ‘PR’ für sie macht, respektive deren Standing in der Öffentlichkeit (mit)prägt.

Ganz grundsätzlich spielen NGO’s im ‘Medien-Zirkus’ eine sehr spannende Rolle. Die grösseren unter ihnen bieten regelmässig Medien fixfertige Recherchen an, die die Medien — darunter auch viele sehr seriöse Medienmarken — gerne aufgreifen. Auf diesem Weg landen die NGO’s mit exklusiver Nennung im redaktionellen Teil von ‘unabhängigen’ Medien — die dadurch für die NGO’s quasi ‘Gratis-Werbung’ machen — ohne, den Beitrag als Werbung zu kennzeichnen.

Inzwischen haben einige NGO’s zum Einen selber eine grössere Reichweite und (dadurch) zum Anderen ein grösseres massenmediales Selbstbewusstsein.

Das WEF ist zwar keine ‘klassische’ NGO. Aber es ist schon sehr lange ‘journalistisch aktiv’:

Kein Wunder, muss hier Public Eye nachziehen 😉

Zurück zu meinen Ausführungen von vor zwei Jahren:

Ich interessiere mich für ⚽ und kann mich ziemlich schnell für ein einzelnes Spiel begeistern. Das Wichtigste ist einfach, dass ich weiss, für welches Team ich brenne. Deshalb liegt es nahe, dass ich mich auch für ‘Frauen-Fussball’ interessiere. Nur: Ich finde relativ selten Berichte dazu. So gesehen ist es mir nicht nur egal, dass hier eine Versicherungsgesellschaft in die Presche springt, sondern ich freue mich darüber. Und wenn solche Porträts rar sind, dann schaue ich grosszügig darüber hinweg, dass es nicht ganz so packend verfasst ist.

Aus dieser Perspektive — nämlich aus derjenigen der Nutzenden — verstehe ich das wortreiche Lamentieren gewisser Journalismus-Kreise nicht, wenn es um das geht, was scheinbar ‘Para-Journalismus’ genannt wird.

Beim Porträt über die Fussballspielerin wird sogar sehr transparent ausgeführt, dass das Unternehmen Partnerin des Schweizerischen Fussballverbandes ist. Dieses Engagement umfasst übrigens nicht nur die National-Frauschaften sondern auch die -Mannschaften. Umso höher ist es der Firma anzurechnen, dass sie inhaltlich nicht wie die Massenmedien mit dem kommerziellen Männer-Fussball die leichten Klicks holt.

[In den vergangenen zwei Jahren nach dem Verfassen dieser Zeilen, ist jedoch einiges gegangen. Langsam berichten auch ‘klassische’ Medien über Frauenfussball].

Die vorgängigen Beispiele — die ich relativ zufällig zusammengestellt habe — sollen darauf verweisen, dass es — für die Nutzerinnen und Nutzer — in erster Linie um den Nutzen (Inhalt) und weniger um die Absendenden geht. Auch sind sie ein Verweis darauf, dass heute alle Publizieren können; von der Kantonalen Verwaltung, über Wissenschaftlende und Institutionen bis hin zu Firmen — und natürlich auch ‘private Menschen’, wie ich hier im Blog oder Influencende ganz allgemein.

Dass dies rund fünfzehn Jahre nach dem Diskurs ‘Bloggen vs. Journalismus’ immer noch betont werden muss, ist … ähm … speziell (geschweige denn, dass Journalistende vor rund zwanzig Jahren ausführlich über den Niedergang der ‘alten’ Musikverlagsindustrie berichten konnten; sie es jedoch für ihre eigenen Verlage nicht antizipieren konnten).

Ist konstruktiver Journalismus schlecht?

Am #JourTag19 ist mir noch was aufgefallen, das mich sehr irritierte. Als auf einem Panel eher nebenher das Thema ‘konstruktiver Journalismus’ angesprochen wurde, waren die Reaktionen durchwegs ablehnend — und zwar von Boulevard über Feuilleton bis Service Public. Der Hauptgrund lautete: Wir wollen uns von keiner Agenda leiten lassen.

Ist das nun gespielte oder echte Naivität? Erkennen diese Journalistenden politische und wirtschaftliche Spins und Frames nicht, von denen sie sich immer wieder leiten lassen? Realisieren sie nicht, dass Einschaltquoten, Klicks und Nutzendenzahlen auch eine Agenda sind? Und ist nicht auch das Benutzen von gewohnten Storytellingmustern und das bedienen von ‘niederen Instinkten’ eine Form von Bias? Reflektieren sie ihre Herkunft (sozio-ökonomisches Milieu) und andere Faktoren (z.B. Cis-Gender), die ihre Art des Berichterstattens beeinflussen?

Und das nennt sich dann ‘unabhängigen Journalismus’?

Klar wäre konstruktiver Journalismus eine Art Agenda. Wobei ich anfügen möchte, dass ich ‘konstruktiver Journalismus’ breiter fasse, als er gemeinhin definiert wird.

Hierzu ein kleines Beispiel:

Konstruktiver Journalismus könnte ein Hebel sein, um aus den (scheinbar unbewussten) Agenden auszubrechen und bewusster zu werden, wie und/oder über was berichtet wird. Die Welt ist beispielsweise definitiv besser, als uns die Massenmedien gerne weis machen wollen.

Fazit: So wie zum Beispiel Fotografierende und Musizierende trotz oder teils auch dank ‘dem Internet’ überleben, so wird auch der Journalismus Bestand haben. Meines Erachtens wird hier jedoch viel zu stark mit dem Umstand gehadert, dass die Finanzierung diverser wird. Dass dies auch positiv interpretiert werden kann — da wäre er also wieder, der konstruktive Ansatz 😉 — lässt sich auch diesem Zitat von Ingrid Brodnig entnehmen (dasjenige in der Mitte des zweiten Tweets):

Schliessen möchte ich diesen Eintrag mit einem Zitat des sehr geschätzten Kollegen Patrick Boehler, der hier (bewusst oder unbewusst) die Finanzierung ausklammert:

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Written by philipp meier

teilzeit community developer @swissinfo.ch, teilzeit beratung, ehem. SM editor/curator @watson.ch, NachtStadtrat Zürich, ex-direktor cabaret voltaire

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