Wieso sollen (Schweizer) Autor*innen auf Social Media aktiv sein?

philipp meier
8 min readFeb 16, 2021

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Dieser Blogeintrag ist in Zusammenarbeit mit Donat Blum und für eine Weiterbildung des Verbands Autor*innen der Schweiz entstanden

Tendenziell haben nicht wenige Autor*innen (gefühlt) immer noch ein etwas verknorztes Verhältnis zu Social Media. Die distinguierte Abgrenzung zum Pöbel und dessen Spässen und Palaver konnte sich ‘die Kultur’ insofern vergleichsweise lange leisten, weil sich die Vermittlungsformate und Förderstrukturen nur sehr schleppend an ‘die Digitalisierung’ anpassten, respektive anpassen mussten.

Das ist mit der wichtigste Grund, weshalb ich von ‘der (statischen) Kultur’ in ‘die (dynamischen) Medien’ wechselte — auch wenn es im Journalismus immer noch Menschen gibt, die gegenüber dem Web ähnliche Vorbehalte haben.

Aber es gibt natürlich längst auch Autor*innen, die auf Social Media aktiv sind und teils sogar plattformspezifische Erzählformen entwickelt haben. Dazu folgen weiter unten zahlreiche Beispiele.

Es ist enorm wichtig, eine eigene Handschrift zu finden, und diese gerne pflegen zu wollen ❤

Eine solche muss jedoch nicht auf Anhieb definiert werden, sondern kann auch suchend herausgeschält werden — lernen durch machen.

Deshalb folgt hier eine grosse Auslegeordnung, was/wo/wie möglich wäre.

Weshalb sollten Autor*innen überhaupt auf Social Media aktiv werden?

Nachfolgend eine nicht abschliessende Liste möglicher Gründe:

  1. Wegbrechende Kulturberichterstattung
    Immer mehr Medien verlassen die klassische Kulturberichterstattung und ersetzen sie durch Gesellschaftsthemen und ‘Wissen’. Gleichzeitig werden Züritipp und andere Veranstaltungsmagazine immer dünner. Das bedeutet, dass oft nur noch über massenkompatible Literatur berichtet wird und alles andere seine eigenen Nischen finden oder bilden muss — ähnlich gefordert sind übrigens zum Beispiel auch Kultur-Insitutionen, weil lange nicht mehr über jede Ausstellung und jedes Theaterstück berichtet wird.
    Ein Vorteil (dem einige jedoch vehement widersprechen würden;): Die grössere Unabhängigkeit von der lange die Debatten dominierenden Kulturkritik ermöglicht auf Social Media nicht nur eine selbstbestimmtere (Eigen-)Promo sondern auch einen direkten Kontakt und Austausch mit den Leser*innen — der übrigens nur beschränkt an die Verlage delegiert werden kann.
  2. Authentischer Auftritt
    Wie im vorherigen Punkt kurz angetönt: Die grössere Unabhängigkeit von der schwindenden Literaturkritik führt dazu, dass das Bild vom eigenen Werk und/oder von sich selber eigenständiger ‘gezeichnet’ werden kann. Wer es nicht geschliffen hochglanz-mässig mag, darf hier natürlich auch Unsicherheit und Zweifel sichtbar machen. Oft sind die Leser*innen sogar dankbar, wenn jemand das Bild einer heilen Welt bricht.
    Das heisst übrigens nicht, dass alles selber produziert werden muss. Wieso zum Beispiel nicht die Leser*innen ihre Freude und vielleicht auch den Frust zu den Publikationen erzählen lassen? Das wäre übrigens auch ein spannender Ansatz, um — anhand von so genanntem “User Generated Content” — eine Bindung zwischen Autor*in und Leser*in herzustellen. Sprich: Anstelle eines euphorischen Zitates aus dem Feuilleton einer grossen Zeitung könnte dasjenigen eine*r begeisterten Leser*in treten.
  3. Kunstfiguren
    Wieso nicht Figuren aus Büchern — oder zum Beispiel auch fiktive Gebäude, Objekte oder Orte — auf Social Media aufleben lassen? Das kann vor allem dann Sinn machen, wenn sie über mehrere Ausgaben ‘lebendig’ bleiben.
    Im Prinzip kann aber auch der selbstgewählte Auftritt kreativ aufgefüllt werden. Social Media repräsentiert nie effektiv einen Menschen als Ganzes, sondern ist je nach belieben gestaltbar (vielleicht am ehesten mit den Kleidern vergleichbar, die mensch gerne trägt). Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Plattformen und Stilmittel etwas kennenzulernen.
  4. Crowdsourcing
    Es gibt Autor*innen, die inzwischen auf Social Media spezifisch oder vage recherchieren und dafür die ‘Weisheit der Masse’ anzapfen — von der Frage, wer oder was auf historischen Fotos abgebildet ist, bis zu konkreten Gefühlen, die bestimmte Wörter oder Erlebnisse bei den User*innen auslösen. Auf diesem Wege lässt sich allenfalls auch ein kommendes Werk ankünden.
  5. Crowdfunding
    Weil mit einem Crowdfunding die kritische Masse der eigenen Bubble oft nicht überschritten werden kann, setzen nicht viele Autor*innen auf diese Form der Finanzierung. Aber neue Formate oder andere Experimente lassen sich damit alleweil monetarisieren. Und wer eine grössere Community hat, findet einzelne ‘Fans’, die — mit oder ohne Gegenleistung — monatlich einen kleineren Betrag überweisen möchten.

Welche Social Media Plattformen für wen, respektive für was?

Auch die nachfolgende Auflistung — resp. Ausführungen — sollte eher der Inspiration dienen, denn als sankrosankt verstanden werden.

Bei der Entscheidungsfindung, auf welcher Plattform — resp., auf welchen Plattformen — aktiv zu werden, kann auch eine kurze Recherche hilfreich sein. Möglicherweise bevorzugen die Leser*innen eine bestimmte Plattform (sprich: nach dem eigenen Namen suchen).
Eventuell deckt der Verlag auch gewisse Plattformen ab. In diesem Fall kann es hilfreich sein, Inhalte vom Verlag einfach reposten zu können. Umgekehrt kann es jedoch auch insofern eine Entlastung sein, weil der Verlag besagte Plattform abdeckt und von der Autor*in nicht auch noch bespielt werden muss.

  1. Facebook
    In unseren Breitengraden (noch) die meistgenutzte Plattform. Zu empfehlen ist ein privater Account oder ein Gruppen-Account. Wer grosses vorhat, kann auch eine Business-Page aufsetzen (kann auch für Verlage interessant sein).
    Der private Account ermöglicht einen direkten Austausch zwischen Autor*in und Leser*innen.
    Der Gruppen-Account ist vielleicht am ehesten wie ein Buch-Club zu verstehen.
    Über eine Business-Page gibt es unter anderem viele Insights (Statistiken) und können Posts als Werbung geschalten werden.
    Auch Live-Streams sind möglich.
  2. Instagram
    Wird wohl bald Facebook den Rang ablaufen.
    Bildstark, lässt jedoch auch Spielraum für kurze und längere Texte.
    Die beiden Hauptformate: Storys und Posts
    Im Gegensatz zu Facebook und Twitter ist hier die Verlinkung auf externe Webseiten etwas umständlich (nur in Bio oder ab 10'000 Follower*innen als ‘Swipe-up’ in den Storys).
    Auch Live-Streams sind möglich.
  3. Twitter
    Textstark, funktioniert jedoch längst auch visuell.
    Ist vergleichsweise eine Nischenplattform und wird vornehmlich von Medien- und Kommunikationsmenschen genutzt — und deshalb auch gerne von Politiker*innen ;-)
    Bietet bald auch Audio-Räume an.
  4. LinkedIn
    Hier steht Networking im Vordergrund. Eher business-lastig. Wem das Setting passt, findet jedoch sicher auch hier eine spannende Nische.
  5. TikTok / Snapchat
    Hochkant und Bewegtbild. Sehr unterhaltungsorientiert. Gibt jedoch längst auch viele ernsthafte bis witzige Erklär-Videos zu wissenschaftlichen oder anderen intellektuellen Themen. Noch sehr jung und eher weiblich.
    Habe hier in einem längeren Chat mit Dirk von Gehlen ausgeführt, was mich an TikTok fasziniert.
  6. YouTube / Twitch
    Bewegtbild und Livestreams. Streaming ist nicht nur wegen Corona immer angesagter. Es ist auch auf vielen anderen Social Media Plattformen möglich. Twitch fokussiert auf Videostreaming und ist im Moment noch eher männlich (v.a. Gaming, aber z.B. auch Bauern). Youtube sollte allen bekannt sein (auch hier ist Community-Building/-Development/-Care möglich).
  7. Chat-Apps: Telegram / Signal / Whatsapp
    Messenger Apps boomen und die Debatten ziehen sich immer öfters in solche ‘privaten’ Nischen zurück. Sie funktionieren wie andere Newsfeed, wo verschiedene Leute etwas teilen können, fühlen sich jedoch in gewissem Sinnen ‘geschützter/exklusiver’ an — wie Clubs oder Salons.
  8. Spotify
    Es gibt inzwischen viele Podcast-Hosting-Plattformen. Spotify ist hierzulande wohl die bekannteste. Wer also gerne Lesungen aufnimmt und/oder Gespräche führt, findet hier die ideale Distributions- und Interaktionsplattform.
  9. Clubhouse
    Dafür, dass es diese Social App noch kaum ein Jahr gibt, ist sie schon sehr bekannt und relativ verbreitet — auch wenn der Zugang immer noch limitiert ist (auf iOS und Einladungen).
    In dieser App treffen sich die Menschen in Audio-Räumen und tauschen sich live aus (wie Video-Konferenzen, einfach ohne Bewegtbild). Weil der Live-Moment zentral ist, kann relativ schnell eine FOMO entstehen.
    Welche Formate diese App zulässt, habe ich hier ausgeführt (im Moment sind es 18 1/2 Formate).
  10. Crowdfunding: Steady / Patreon / Onlyfans
    Neben den klassischen Crowdfunding-Plattformen, die vor allem Projekt-orientiert sind — wie u.a. wemakeit.com — gibt es inzwischen auch einige Webseiten, die eine stete Unterstützung ermöglichen. Diese Art des finanzielle Supportes lässt sich am ehesten mit einem ‘Abo’ vergleichen.

Um ein Gefühl dafür zu erhalten, welche Erzählformen angewendet und Inhalte geteilt werden können, folgt nun als Inspiration eine wild durcheinander gewürfelte Auslegeordnung diverser Beispiele; oft einfach nur für ein Genre oder einen Stil (wo der Bezug zur Literatur fehlt, kann er mitgedacht werden;)

Alltagshumoristische Kurz-Clips (Twitter)
Alltagshumoristische Kurz-Clips (Instagram)
sickbutsocial (Twitter)
Promi-Buch-Promo-Clips (auf Hashtag klicken und mehr Beispiele finden)
Gedichte ‘funktionieren’ immer und überall: Twitter, Twitter (interaktiv), Screenshot (geht auf vielen Plattformen), Facebook (bebildert)
Wortspiele auch: Twitter, Facebook (mit einem Schuss Selbstironie)
Und jetzt? Abstimmen!
Kleine Brüste (TikTok)
’Aufklärung’ (TikTok)
Twitter-Thread
Podcast-Teaser auf Insta
Selfies’ (immer/überall)
Daten-Grafiken’ (immer/überall)
Botanisch Fluchen (Twitter)
Alltagsmoment (mit Bild) und ohne Bild
Illustrationen (Insta)
Liebe an speziellen Wörtern teilen (Twitter)
Buchbilder (immer/überall)
Der eigene Körper
Serien: Gedichte (siehe oben), Bilder (Bild aus einer Reihe)
Fotografie
Fragen (‘funktionieren’ immer)
Reisen (immer/überall)
Post zu Kurztext
Kurzgeschichten-Kapitel (illustriert)
Food und so (immer/überall)
Aus Facebook-Geschichten wird ein Buch
Lob über sich selber teilen
Tattoo(s)
Sprechblasen
Handgeschriebenes
Sich zum Affen machen
Historisches in Text und Bild
Eingeschneit
Stillen
Spielerisch um Likes betteln
Schrifttafeln (und so)
Memes

Letztendlich gilt natürlich: Wer eine Community aufbauen und lebendig halten möchte, muss aktiv sein. Alle paar Wochen einen Post teilen kann in einer kleinen Pause oke sein, ist jedoch nicht nachhaltig.

Wie präsentieren sich Schweizer Autor*innen auf Social Media? Eine unvollständige Auflistung von interessanten Auftritten. Die Auflistung ist zufällig — ausser: Cis-Manners kommen zuletzt 💁‍♀️

Wo bekannt, sind auch noch die Crowdfunding-Abo-Accounts aufgeführt und verlinkt.

Teilweise sind übrigens die Social Media Accounts ziemlich versteckt, weshalb ich sie manchmal nur über Nennungen bei meinen Umfragen auf Twitter und Facebook gefunden habe. So kann es also sein, dass ich jeweils auf die Schnelle nicht alle Accounts fand, weshalb sie hier fehlen.

Es ist übrigens schon fast erschreckend, wie oft die Verlage oder sogar die Webseiten der Autor*innen die Social Media Accounts weder erwähnen noch verlinken. Aber womöglich haben sich hier alle damit abgefunden, dass alle auf Social Media und niemand mehr auf Webseiten ist ;-)

Slam Poet*innen und Drehbuch- oder Theater-Autor*innen scheinen deshalb auf Social Media leichter Fuss zu fassen, weil ihnen der performative Moment näher liegt, der dabei sehr hilfreich sein kann.

Die Auswahl ist nicht umfassend, respektive nur beispielhaft. Weitere Inputs sind sehr willkommen, werden jedoch nur situativ aufgenommen.

Sibylle Berg

dadaistisch, multimedial, politisch
twitter | insta | fb

Simone Meier

ironisch romantisch
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Lisa Christ

direkt aus ihrem leben
twitter | insta | fb | youtube | steady | patreon

Anna Rosenwasser

engagement mit ganz viel ❤
insta | fb

Sascha Rijkeboer

tausendsascha
twitter | insta | fb | steady

Jessica Jurassica

eif iwas besteste (sorry güzin)
twitter | insta | fb

Claudia Vamvas-Badertscher

akkordeon spielende busfahrerin
twitter

Fatima Vidal

feminismus und illustration
insta
| fb

Romana Ganzoni

bun di
twitter | insta | fb

Güzin Kar

beste (sorry sibylle)
twitter

Nora Zucker

printfotografie und selfies
twitter
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Tanja Kummer

vegane buchtipps
insta

Tabea Steiner

aware
twitter
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Meral Kureyshi

minimale poesie
insta | fb

Julia Weber

witzig interaktiv
fb | insta

Mireille Zindel

sein
insta

Julia Kohli

träfe anekdoten
twitter

Dana Grigorcea Monioudis

persönlich professionell
twitter
| insta | fb

Franziska Hidber

unterwegs zuhause
insta | fb

Seraina Kobler

mediengewandt
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Susan Brandy

bild und text
twitter | insta | fb

Milena Moser

viel farbe
insta | fb

Katka Holl

poetische malerei
fb

Patti Basler

ernsthaft lustig
twitter | insta | fb

Lara Stoll

alphorn kalb
insta | fb

Cornelia Heynen-Igler

geschichten
fb

Dragica Rajčić Holzner

liebevoller alltag
fb

Christoph Simon

sprechblasenliteratur
insta | fb

Gabriel Vetter

irgendwas mit dialekt
twitter
| fb

Martin Suter

gute massenware
twitter | insta | fb

Jürg Halter

berufsprovokateur
twitter | insta | fb

Peter Schneider

presseschau
twitter
| insta | fb

Stefan Keller

historisches und badewannen
fb

Chris Hassler

trunkenes chur
fb | twitter

Alex Capus

mehr als nur olten
fb

Guy Krneta

kulturpolitik
fb | twitter

Rolf Hermann

perücken and more
insta | fb

Joel Dicker

smart
insta | twitter | fb

Donat Blum

queer (sorry;)
insta | twitter | fb

Und hier nun noch ein paar Beispiele aus dem deutschsprachigen ‘Ausland’:

Ronya Othmann

direkt
insta

Jana Heinicke

sehr menschlich
insta

Manuel Braun

in paris
twitter

Clemens Setz

humorvoll minimal
insta

Max Czollek

aktivistisch
insta

Timo Brandt

gedichte
facebook (nicht mehr aktiv)

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Written by philipp meier

teilzeit community developer @swissinfo.ch, teilzeit beratung, ehem. SM editor/curator @watson.ch, NachtStadtrat Zürich, ex-direktor cabaret voltaire

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