Baustellen sind spannend. Deshalb liebe ich meine Arbeit in den Medien.
Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht, lässt du besser den Kopf nicht hängen. Und wenn es weiter steigt, dann hilft nur eines: Sich bewegen!
Es ist natürlich kein Zufall, dass dieser Tweet von Stefan M. Seydel zur Bebilderung des Eingangs erwähnten «Kalender-Spruchs» dient. Denn bei «Prof. Dr. Seydel» habe ich quasi im Fernstudium einen Crash-Kurs in Medienkritik besucht (wobei sich “Crash” eher auf den Stil als auf die Dauer bezieht;)
Er betrieb mit rebell.tv das erste rein digitale «Medienhaus» der Schweiz und sah bereits vor zehn Jahren den Wandel voraus, der bis jetzt noch nicht mal zur Hälfte durch ist. Als ich so richtig angefixt war ……. — gingen bei rebell.tv leider die Bildschirme aus. Es ereilte das Schicksal derjenigen, die neue Entwicklungen zu früh anstossen und gestalten.
Umso neugieriger war ich, als Hansi Voigt mit watson an den Start ging. Wir verstanden uns in der fundamentalen Kritik an «den Medien» auf Anhieb. Auch war er an meiner vehementen Fürsprache für «die User» interessiert. Ergo: Ich brachte dank Hansi grad noch rechtzeitig die Fuss in die Türe zu «den Medien», die immer stärker in einen radikalen Wandel reingezogen wurden.
Irgendwann mussten die konzeptionell und innovativ hochfliegenden Pläne von watson an die (wirtschaftliche) Realität angepasst werden — und weil meine Kritik an «den Medien» nicht leiser wurde, war die Zeit für mich (früher) reif (als ich dachte), watson zu verlassen.
Obwohl ich watson unfreiwillig verliess, wusste ich, dass ich nun in “den Medien” überall hingehen kann. Inzwischen wissen (fast) alle, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Sprich: Die Newsportale werden gezwungenermassen experimentierfreudiger.
Dass es aber so spannend werden wird, konnte ich mir damals nicht ausmalen. Und dies dann auch noch bei einer Arbeitgeberin, die nach aussen hin nicht als die dynamischste, frischeste und frechste erscheint — bei swissinfo.ch.
Sehr oft werde ich gefragt, was dieses swissinfo.ch eigentlich sei. Diese Frage ist insofern nicht überraschend, weil die wenigstens Milieus, in denen ich verkehre, zu den Kern-Communities von swissinfo.ch zählen.
Sorry, das war jetzt eher ein Moodboard. Im nachfolgenden Clip wird es konkreter erklärt.
Schon dieses Setting ist ziemlich verrückt. Hier arbeiten Leute aus und für (mind.) zehn verschiedene Sprachräume und Kulturkreise. Weitere 5 verblüffende Fakten zu swissinfo.ch hat kürzlich SRG Insider zusammengestellt:
- Fans, Fans, Fans: Die arabische Facebook-Seite von SWI swissinfo.ch ist mit rund 450'000 Fans die zweitgrösste Facebook-Seite aller Schweizer Medienmarken und die grösste Facebook-Seite der SRG SSR.
- VERY international I: SWI swissinfo.ch publiziert Beiträge in 10 (!!!) Sprachen. Dies sind: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.
- Nicht alle, aber fast: Die Website www.swissinfo.ch wird mit ihren in 10 Sprachen publizierten Beiträgen theoretisch von über 80% der weltweiten Internet User verstanden.
- VERY international II: Alle Redaktorinnen und Redaktoren bei SWI swissinfo.ch, die nicht in den drei Landessprachen publizieren, sind aus den besagten Sprachregionen in die Schweiz eingewandert. Vermutlich ist SWI swissinfo.ch somit wohl DIE Schweizer Redaktion, die am meisten Migrantinnen und Migranten beschäftigt.
- Chinese Style: Auf dem grössten chinesischen Mikroblogging-Dienst «Weibo» hat SWI swissinfo.ch 450'000 Fans. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel zum Thema Pokémon verzeichnete dort 30 Millionen Views.
Spannend ist es in einer Branche unter anderem auch dann, wenn neue Job-Profile entstehen. Es war dann letztendlich auch die — vorerst mal testweise und befristet geschaffene — Stelle eines Community Developers, die mich nach Bern zu swissinfo.ch lockte. Meines Wissens bin ich der erste und bis jetzt auch der einzige Community Developer in der Schweiz.
Ich habe meine bisherige Arbeit insofern scheinbar nicht so schlecht gemacht, weil die Funktion des Community Developers nun fix geschaffen werden soll (wodurch ich ab Januar eine unbefristete Anstellung kriege).
Bevor ich jedoch ausführe, was ich daran und bei swissinfo.ch derart interessant finde, hier ein kleines Job-Porträt von SRG Insider.
Jetzt aber zur Liste der Gründe, weshalb ich es aktuell derart attraktiv finde, als Community Developer und bei swissinfo.ch zu arbeiten:
- Die Aufgaben einer neu geschaffenen Stelle können losgelöst von einem Korsett oder klar vorgegebenen Profil definiert und entwickelt werden (wohl ein ganz wichtiger Faktor, um der schnelllebigen Zeit gerecht werden zu können)
- Bei swissinfo.ch kann niemand, respektive kein kleines Team Social Media in 10 Sprachen abdecken. Ergo: Die Redaktorinnen und Redaktoren übernehmen diese Aufgabe. Das führt innerhalb der Redaktion zu einem grösseren Verständnis für Web 2.0 und die Redaktion ist dadurch Näher bei den Usern — und natürlich auch umgekehrt.
- Sprach- und Kulturübergreifende Communities aufzubauen ist enorm anspruchsvoll.
- Ein Community Developer muss auch nach innen wirken und zum Beispiel die Redaktorinnen und Redaktoren überzeugen, weshalb es heute Communities braucht, und aufzeigen, wie sie «funktionieren» und weshalb User-Interaktion wichtig ist.
- Es ist eine grosse Herausforderung, für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer eine global vernetzte Community aufzubauen #WeAreSwissAbroad
- Im Bereich Community-Building ist es quasi die König-Disziplin, zu seriösen Themen wie Direkte Demokratie einen wichtigen Knotenpunkt im WWW bilden zu wollen #DearDemocracy
- Ein Community Developer denkt strategisch und arbeitet für alle und mit allen Abteilungen des Unternehmens. Sei es mit den DesignerInnen, um beispielsweise die Webseite user-freundlicher zu gestalten oder das Storytelling attraktiver zu gestalten. Mit der IT, um die Navigation der Seite zu verbessern oder neue Features zu entwickeln. Oder mit dem Marketing; unter anderem für den Support auf den unterschiedlichen Social Media Plattformen oder bei der Einführung von neuen Tools. Und dann natürlich mit der Redaktion — von Themen-Setting über Storytelling bis hin zu User-Interaktion.
- Bei privaten Portalen ist aktuell oft die Wirtschaftlichkeit das Damoklesschwert. Bei einer Unternehmenseinheit der SRG löst die Service Public Debatte ähnliche Grundsatzdiskussionen aus. Die ganze Debatte erachte ich als sehr sinnvoll und äusserst spannend. Bei einem teils gebührenfinanziertem, teils staatlich finanziertem Angebot (swissinfo.ch wird zu 50% vom EDA finanziert), sollte die Frage ein Dauerbegleiter sein, weshalb es dieses Angebot braucht und welche Inhalte private Anbieter nicht aufbereiten wollen oder können.
- Bei swissinfo.ch stehen viele Veränderungen an. Das macht die Arbeit enorm attraktiv. Die Zeichen stehen auf Wandel. Wie Eingangs beschrieben: Wer sich nicht bewegt, geht unter. Dabei gibt es jedoch keine Patent-Rezepte und jedes Portal muss seinen eigenen Weg finden.
Bei swissinfo.ch wird ein Multimedia-Team entstehen, in dem die Bildredaktion, die VJs und das Grafik-Design zusammengeführt werden — und auch der Community Developer wird Teil dieses Teams. Des Weiteren wird ein Produktionsraum eingerichtet, in dem Teile der verschieden-sprachigen Redaktionen, der IT, des Marketings und des Multimedia-Teams Platz nehmen werden. Damit soll insbesondere der Redaktions- und Abteilungsübergreifende Austausch gefördert werden. - Auch wenn es aktuell so aussieht, dass sich Social Media Plattformen, Interaktionstools und User-Verhalten stetig verändern, so dass einem Community Developers die Arbeit nie ausgehen würde — verfolge ich trotzdem nach wie vor meinen Grundsatz, den sich bereits watson (fast allzu arg;) zu Herzen nahm:
Denn wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens bis in die letzte Faser für und mit ihren Communities arbeiten, dann braucht es keinen Community Developer mehr.
(Das Spruchbild stammt übrigens aus dem Podcast «Journalismus Y», wo ein Gespräch mit mir abrufbar ist)